Zusammenleben
Diana Leafe Christian – «Creating a Life Together: Practical Tools to Grow Ecovillages and Intentional Communities» – Zusammenfassung, Kommentare und Reflexionen (1)
Schon die Vorschussloorberen die in Amerikanischen Büchern so üblich sind stellen klar dass es sich um eine essenzielle Fibel für Baugruppen handelt. Und die Empfehlungen kommen nicht von irgendwem, sondern u.a. von Bill Mollison, Mitgründer der Permakultur, und Hildur Jackson, Mitgründer des Global Ecovillage Network (GEN).
Ein praktisches Buch ist es, geschrieben von der langjährigen Redakteurin der Zeitschrift ‹Communities› des «Fellowship for International Communities» (www.ic.org). Also nichts wie hinein in die hilfreichen Einsichten und Erfahrungen, die helfen sollen, nicht alle möglichen Baugruppenfehler am eigenen Leib und Bauwerk ausprobieren zu müssen.
Einführung
Also was ist eine „Intentional Community“, eine absichtliche/absichtsvolle/intendierte Gemeinschaft? Das kann jede Gruppe sein, die sich mit einer gemeinsamen Absicht zusammenschließt, z.B. Förderung der Familie, Ausbildung (Studenten), Nachhaltigkeit oder des generationenübergreifende Wohnens. In jedem Fall ist es eine bewusste Entscheidung, sich als Gruppe zusammenzufinden um dieses Ziel zu verfolgen. Demgegenüber steht wohl die zufällige Gemeinschaft, so wie ich sie hier in London zu Zeit erlebe: unser halber Straßenzug ist mit einem weitläufigen Gemeinschaftsgarten verbunden, recht selten in London und ein Riesen-Vorteil gegenüber Einfamilienhäusern oder Gartenschläuchen die nur die Erdgeschossmieter nutzen dürfen. Hier haben sich über die sechs Jahre die wir hier gewohnt haben etliche Freundschaften entwickelt, manche oberflächlich, manche substantiell.
Typisch für die intendierten Gemeinschaften sind Idealismus und der Wunsch, besser zusammen zu leben. Der Individualismus hat seinen Zenit überschritten und wir merken, dass wir gemeinsam besser leben, gesünder, naturverträglicher, angenehmer. Vielfältige zwischenmenschliche Beziehungen stellen sich immer mehr als der entscheidende Faktor für unsere mentale und physische Gesundheit heraus.
Kapitel 1: Die erfolgreichen 10 Prozent, und warum 90 Prozent scheitern
Von vorneherein wird deutlich dass die Gemeinschaft Vision, Tatkraft und die richtigen Fähigkeiten benötigt, Netzwerker und Sozialkompetenz genau wie Fähigkeiten im Immobilien- und Finanzbereich. Und die erfolgreichen Beispiele hatten schon sehr früh eine klare Idee für Einkommen: Konferenzzentrum und/oder Hotelbetrieb.
Gründe fürs Scheitern gibt‘s viele, sie lassen sich aber zusammenfassen: unklare Abmachungen und Erwartungen zu Beginn, was die Organisation angeht, die Entscheidungsmethodik und die Rollenverteilung – «strukturelle Konflikte», die durch die folgenden sechs Herangehensweisen vermieden werden könnten:
- Definition und Dokumentierung der Vision, damit alle Mitglieder von vorneherein wissen worum es der Gruppe geht, und vor der Entscheidung teilzunehmen sich darüber im Klaren sind ob sie die Ziele unterstützen. Dies heißt nicht dass sich die Vision nicht entwickeln könnte, aber wenn Disparitäten zwischen den Teilnehmern entstehen darüber wofür wir zusammen sind, sind Spaltungen und Konflikte vorprogrammiert.
- Entscheidungsmethodik! Von Anfang an muss klar sein wie Entscheidungen gefällt werden. Konsensbildung scheint angebracht, also die Entscheidungen auf alle Mitglieder gleichrangig zu verteilen. Eine Gefahr besteht jedoch darin, ohne Training eine Art von Geratewohl-„Konsensfindung“ zu betreiben, die als direktiv oder manipulativ entlarvt wird. Die Moderatoren müssen qualifiziert in der gewählten Technik sein, und allen Mitgliedern klar sein wie sie funktioniert.
- Erinnerung ist subjektiv. Dokumentation aller Entscheidungen beugt Missverständnissen und Konflikten vor.
- In aller Freundschaftlichkeit sollte Konfliktfähigkeit der Gruppe gewahrt bleiben, einschließlich Verlässlichkeit bei Abmachungen.
- Effektive Selektion von Mitgliedern die die Ziele unterstützten und „emotional reif“ (nicht zu wetterwendisch) sind
- Verständnis das die Bildung einer Baugruppe gleichzeitig ein Unternehmens-Startup und eine „Heirat“ ist, also gleichzeitig planendes und betriebswirtschaftliches Denken als auch Vertrauen, Gutmütigkeit, Ehrlichkeit und persönliches Engagement benötigt.
Eine Baugruppe kostet häufig mehr Zeit und Einsatz als zunächst angenommen. Wir werden ja gestalterisch tätig und setzen uns gerade nicht in ein gemachtes Nest. Mit wöchentlichen Treffen der Mitglieder plus Abarbeiten von Aufgaben zwischendurch ist zu rechnen. Und die Entwicklung hört nie auf, eine Gemeinschaft ist ein lebendiger Organismus und nie „fertig“.
Neben der Einigung auf ein gemeinsames Ziel braucht die Gemeinschaft auch fest eingeplante Gelegenheiten, sich informell menschlich näher zu kommen. Freundschaften kann man nicht erzwingen aber es wäre überraschend und enttäuschend wenn sie nicht zustande kämen. Diana nennt als Beispiele gemeinsame Malzeiten, Arbeitstreffen mit Festcharakter („work parties“), Wochenendausflüge (z.B. zu erfolgreichen kommunalen Bauprojekten zwecks Inspiration) und Zeit für lange individuelle Gespräche.
Kapital 1 schließt mit einem offenherzigen Bericht von Roberta Wilson, Gründerin des Winslow Cohousing auf Bainbridge Island bei Seattle. Konflikte wird es immer geben: wo Menschen sich zusammentun, „menschelt“ es. Aber deswegen wollen wir ja gerade zusammen bauen und wohnen, weil zusammen besser ist als gegeneinander oder nebeneinander her, weil Menschen mit allen Ecken und Kanten interessant und vielschichtig sind und wir gemeinsam sozial und emotional wachsen können. Die in unserer individualisierten Welt liebgewonnene Selbstbestimmung und Autonomie weicht ein Stück weit einer Gegenseitigkeit und einem verwachsenen Miteinander.
Kapitel 2: Die Rolle der Gründer
…beginnt mit Fallstudien die erneut illustrieren wie wichtig Kenntnisse im Immobiliengeschäft und Finanzierungsmodellen sind, und wie entscheidend die Bereitschaft der Gründer (Projektleiter), sich in neue Thematiken einzufinden und einzuarbeiten.
Die Einbettung des kommunalen Bauprojekts in seine Umgebung beinhaltet sowohl Nachbarschaftlichkeit mit den Bewohnern umliegender Häuser, den Eindruck den die Baugruppe auf die Umgegend macht, wie auch die lokalen ökonomischen Verhältnisse und Gegebenheiten, die den Standort mehr oder weniger attraktiv für potentielle Mitglieder machen.
Die vier entscheidenden Basiskompetenzen für Gründer sind:
- Vision und Begeisterungsfähigkeit, also die Fähigkeit eine vielversprechende Zukunft zu sehen wo noch eine Brache oder gar nur eine Idee ist, und sich von dieser Vision motivieren zu lassen
- Führungspersönlichkeit, um die Vision voranzutreiben, keine Zweifel an der Umsetzbarkeit aufkommen zu lassen und Mitgestalter zu inspirieren
- Unternehmergeist mit Organisationstalent, Intuition, Risikobereitschaft und Erfahrung
- Bereitschaft zuzupacken und sich die Hände schmutzig zu machen; bauliche und handwerkliche und Kenntnisse helfen enorm.
Neben diesen vier Grundkapazitäten nennt Diana fünf weitere Charakteristiken die Gründer brauchen um ein Bauprojekt zum Erfolg zu führen:
- Geduld: die benötigte Zeit für Anträge und Genehmigungen, oder das Einwerben von Teilnehmern und Geldgebern liegt häufig nicht in der Hand der Gründer
- Glaube daran dass alles so kommt wie es sein soll und letztlich zum Erfolg führt
- Kommunikationsfähigkeit und Ausbalancierung des Blicks aufs Ganze mit der Planung der Einzelheiten. Baugruppenteilnehmer sind häufig Macher und Vorreiter und können ungeduldig werden wenn alle durch eine ausgefeilte Konsensfindungs-Technik ins Boot geholt werden sollen.
- Durchhaltevermögen und Ausdauer, mit Blick auf die Vision und Geschick, Widrigkeiten in Chancen umzudeuten
- Wertschätzung und Dankbarkeit: alle Teilnehmer tragen zum Erfolg auf ihre Weise bei, und die unterschiedlichen Arten sehen nicht immer den Wert der Beiträge der anderen.
Wiederum endet das Kapitel mit einem Bericht, der verdeutlicht wie erfolgreiche Baugruppen immer mehr als die Summer ihrer Teile sind und etwas größeres, erstaunlicheres passiert als wir uns rational unter einem gemeinsamen Hausbau vorstellen.
Hinweis: bei dieser Artikelserie handelt es sich um eine freie Übersetzung mit weitergehenden Kommentaren und Anmerkungen im Hinblick auf unser Bauprojekt, die nicht also solche gekennzeichnet sind. Die Lektüre des Originals von Diana Leafe Christian wird empfohlen (auch auf amazon.de verfügbar, aber nur Englisch, eine deutsche Übersetzung liegt meines Wissens nicht vor).
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